Die Bewertung „historisch“ lässt sich der Natur der Dinge wegen immer erst nachträglich vornehmen. Historie begreifen geht leichter, wenn Beschreibungen auch visuell unterstützt werden. Oder weniger kryptisch: Ich habe kürzlich meine Fotogalerie auf dem Smartphone entmüllt und dabei historisch wertvolle Funde gemacht, die ich euch gerne unter dem Motto „Highlights der Pandemie“ vorstelle.
Landschaft, Bier, Screenshot, selbstgemachtes Essen, Bier
Während vor Beginn der Corona-Pandemie 2020 noch viele Bilder von Menschen, Konzertschnappschüsse oder Erinnerungen an nah bis ferne Reiseziele meine Fotogalerie gefüllt haben, sind es heute eher folgende Motive: Landschaft, Bier, Screenshots, selbstgemachtes Essen, Bier, Landschaft. Dennoch, ein paar Highlights gibt es dann doch.
Sag alles ab
Februar 2020: Das erste Mal seit 10 Jahren sollte es für mich länger als eine Woche in richtigen Urlaub gehen. So ganz ohne Jugendfreizeit, Kurzurlaub oder beruflichen Kontext. Einfach nur Urlaub, und der ganz weit weg – endlich wieder Afrika. Was von dem Vorhaben bleibt, sind ungenutzte, aber vorab bezahlte Visa für vier Länder, eine vorbereitete Reiseapotheke und ein (zumindest damals noch) vorfreudestimmende Screenshot vom Wetterbericht.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie vor allem im Internet mit den vielen stressigen Momenten zu Beginn der Pandemie humorvoll umgegangen worden ist. Da waren die Songs, zu denen man am besten 20 Sekunden lang Hände waschen kann oder abgeblasene Erotikmessen. Als stressig empfand ich im Kontrast dazu nicht nur die Ungewissheit oder die Trostlosigkeit, die mit all den abgesagten Events, Reisen, etc. einherging, sondern auch der Umgang mit- und untereinander. Da wurden asisatisch aussehende Mitmenschen plötzlich noch stärker diskriminiert und in den Supermärkten haben wir alle Situationen erlebt, die wir bislang nur aus schlechten Filmen kannten. Noch lange bevor Mund-Nasen-Bedeckungen in der Öffentlichkeit en vogue und später Pflicht wurden, hatte ich zudem die ein oder andere „lustige“ Situation, wenn ich dank meines Heuschnupfens herzhaft an der Kasse oder im Bus niesen musste.
Geh einfach weg
A propos Bus: Im März 2020 war mit einem Mal Platz in Bus & Bahn. Schulen schlossen, der Einzelhandel war erstmalig für ein paar Wochen zu. Ich hatte also auf meinem täglichen Weg zur Arbeit meine Ruhe – was im Nachhinein noch viel wertvoller erscheint, als es mir damals schon vorkam. Dennoch: Ich entschied mich kurz nach Ostern relativ schnell dazu, das ÖPNV-Ticket zu kündigen und künftig komplett aufs Rad umzusteigen. Denn die anfängliche Rücksichtnahme ließ an Bahn- und Bussteigen nach dem ersten „Lockdown“ sichtlich nach.
Halt die Maschinen an
Nach dem ersten Schock wurden die Menschen kreativ. Wer – ob freiwillig oder unfreiwillig zuhause bleiben musste, bemalte mit Kindern Steine bunt an und legte Steinketten in den Wald, hängte Regenbogen gut sichtbar in die Fenster zur Straße, renovierte sein Zuhause, lernte neue Sprachen, versuchte sich an Brotbackrezepten oder erlebte die ersten Wochen im Home Office.
Screenshot vom 10.3.20 Erste Gehversuche im Home Office Modus Umdenken auch in der Musikbranche
Die Eventbranche versuchte sich an individuellen Lösungen und so erfuhr das Autokino eine nicht geahnte Renaissance und sogar eine Weiterentwicklung: Auto-Konzerte, bei dem Interaktion durch Warnblinker, Hupen und Fernlicht-Aufblenden künstlich nachgestellt wurde. Ich bin ja mal gespannt, was da 2021 ff noch auf uns zukommt!
Auch von der Couch aus entstehen mit Zoom, Skype & Co. völlig neue Erlebnisse: Musiker streamen aus dem eigenen Wohnzimmer, große Konferenzen wie die republica finden per Stream statt und mit Freunden tauscht man sich eben online aus, trinkt einen miteinander oder spielt gemeinsam „Montagsmaler“.
Frag nicht nach dem Zweck
Viele dieser Couch-Erlebnisse sind meine persönlichen „Glücksmomente“ und für mich enorm wichtig für meine psychische Gesundheit und entschädigen ein wenig die vielen abgesagten Termine. Zugegeben: Das ein oder andere ist in diesem ersten Jahr der Pandemie – oder wie die Leute im Internet sagen: in diesem zwölf Monate langen März – dann doch passiert. Und so durchbricht das ein oder andere Erinnerungsfoto die scheinbar nicht enden wollende Aneinanderreihung von Landschaft, Bier, Screenshot, selbstgemachtem Essen, Bier. Bei mir sind das folgende Erinnerungen:
- eine Abba-Tanzkaraoke-Video-Collage zu Mamas 60. Geburtstag
- der Versuch, bei einem Podcast-Wettbewerb teilzunehmen – leider erfolglos
- allerhand Aufnahmen von Neugeborenen
- ein in jedem Sinne einzigartiger Wochenend-Ausflug nach Bamberg
- eine volle Woche Fahrrad-Urlaub im Harz
- ein fünftägiger Aufenthalt in der Frauenklinik Homburg mit der Diagnose Endometriose
- 90 brennende Teelichter für 90 stolze Lebensjahre meiner Oma